Die Baptisten in Friedersdorf
von Gerhard Lehmann, Friedersdorf, veröffentlich im Sorauer Heimatblatt 08 1976
"Die Baptisten seit 1938 in Deutschland als "evangelisch-freikirchliche Gemeinden" offiziell und amtlich geführt, waren seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch in Friedersdorf vertreten.
Es muss als Kuriosum empefunden werden, dass mein Vater, der als erster Baptist galt, gar keiner Baptistengemeinde beigetreten war. Er kam als Handwerksgeselle in das Ruhrgebiet und fand dort Anschluß an eine den Baptisten nahestehende Gemeinde der "Freien evangelischen Gemeinden", die unter dieser Benennung auch heute noch bestehen. Sie stellen es ihren Mitgliedern, die aufgrund eines freiwilligen Glaubensbekenntnisses aufgenommen werden, frei, die urchristliche Taufe durch Untertauchen an sich vollziehen zu lassen, oder die durch Taufschein belegte Taufe als Säugling empfangen, als gültige Taufe gelten zu lassen.
Mein Vater hatte sich durch Untertauchen taufen lassen und hatte sich von der Landeskirche getrennt. Um 1895 kehrte er nach Friedersdorf zurück, machte sich als Schneider selbständig und begann sogleich durch Zeitschriften und christliche Bücher eine fleißige Werbetätigkeit. Kirchliche Stellen sahen das zwar nicht gern, aber man ließ ihn gewähren. Als er aber heiratete, ein Haus erwarb und ein Sohn geboren wurde, gab es eine Notiz im "Sorauer Tageblatt". Da war denn unter "Lokales aus Friedersdorf" zu lesen: "Hier ist ein Sektierer zugezogen, der sich weigert seinen neugeborenen Sohn taufen zu lassen". Den später geborenen Kindern wurden solche Aufmerksamkeiten nicht mehr erwiesen.
Inzwischen waren die Eltern meiner Mutter, die wie meine Mutter auch Baptisten waren. in unser Haus gezogen. Da es in der Nähe keine Baptistengemeinde gab, bestand loser Kontakt zur Liegnitzer Gemeinde. Im Jahre 1909 starb dann der Vater meiner Mutter Seidler. Die evangelische Kirchengemeinde in Friedersdorf, als Eigentümerin des Friedhofes, war nun zum Handeln bereit. Es galt ein Exempel zu statuieren. Die Beerdigung konnte man nicht verweigern, aber es wurde untersagt, daß der Prediger der Liegnitzer Baptistengemeinde am Grabe spricht oder betet. Singen war ebenfalls nicht erlaubt. So wurde dann der Sarg mit den sterblichen Überresten meines Großvaters auf der Dorfstraße vor dem Friedhof niedergestellt. Der Prediger sprach ein Gebet und unter dem streng gebotenen Schweigen wurde der Sarg zum Grabe geleitet. Damit war es nun für allemal klargestellt, daß es sich bei Baptisten um Leute minderen Rechts handeltes. Auf jeden Fall gab es als Folge dieser Maßnahme eine seelische Schranke zwischen den damals anerkannten Kirchen - dazu gehörte immerhin auch die altlutherische Kirche - und den Sektierern.
Die altlutherische Gemeinde bzw. Kirche wurde zwar ironisch und etwas abschätzig als "fromme Kirche" bezeichnet (Die wulln wos Bessersch sein!) die Baptisten aber, die ihre Kinder nicht wie üblich taufen und konfirmieren ließen, wurden irgendwie als unheimlich, wenn nicht gar als staatsgefährdend empfunden. Wir haben das als Kinder sehr zu spüren bekommen. Die Lager änderte sich erst 1918. Als Folge der politischen Veränderungen wurde auch das Verhältnis von Staat und Kirche neugeordnet. Von nun an war freie Betätigung im religiösen Raum möglich.
In dieser Zeit begann mein Vater mit gottesdienstlichen Stubenversammlungen im eigenen Haus, die unregelmäßig an Wochentagsabenden stattfanden. Die jeweiligen Redner kamen aus Grünberg, wo nach dem 1. Weltkrieg eine Baptistengemeinde entstanden war. Den Hauptanteil der Mitglieder bildeten Volksdeutsche, die aus den östlichen Gebieten ins "Reich" geflüchtet waren. Auch nach Friedersdorf kam eine solche Familie. Die Familie Richard Behnke übernahm die Niedermühle (eine Sägemühle) und war fortan an den Versammlungen in meinem Elterenhause beteiligt. Jetzt, das heißt in den zwanziger Jahren, wurden die Stubenversammlungen regelmäßig an den Sonntagnahcmittagen gehalten. Zumeist war es Lesegottesdienste. Die Zahl der Besucher schwankte. Es gab einen Stamm von Freunden, der mit den Mitgliedern etwa 15 bis 20 Personen ausmachte. Es gab aber auch Gelgenheiten zu denen 60 bis 80 Besucher gezählt wurden.
Um 1925 gab es 10 getaufte Gemeindemitglieder. Später wurde dann auch eine "Sonntagsschule'" eingerichtet, zu der bis 20 Kinder kamen, da die anderen Kirchen keine Kindergottesdienste veranstalteten. Als dann in den dreißiger Jahren und dem beginnenden Krieg das Denken und Streben und das öffentliche Leben von politischen und Kriegsaktivitäten erfüllt war, verschwanden die alten Gegensätzlichkeiten des kirchlichen Bereichs fast ganz. Überschaut man jetzt die Entwicklungen und Veränderungen während eines Menschenlebens, mutet das, was nur einige Jahrzehnte zurückliegt an, als wären die Geschichten aus dem Mittelalter.
Wenn sich heute die alten Heimatfreunde von Jahr zu Jahr in immer kleinerer Zahl und immer seltener treffen, ist vieles von dem, was einmal so wichtig war, von minderer Bedeutung. Das Schicksal hat alle gleichermaßen getroffen und alle hängen mit gleicher Liebe an der alten Heimat."